Vom Alltag und der Weite

Trekking Tour in der Weite des Sarek

Ich verlaufe mich seltener in der Natur, als in der unendlichen Komplexität meines Lebens.

 

In diesem Artikel suche ich ein paar Punkte die mein Leben komplizierter machen und warum  in der Natur alles leichter und klarer wird. Ich gebe euch Einblicke in den Konflikt zwischen meinem Wunsch nach einem naturverbundenen Leben und der Wirklichkeit meines Alltages.

 

Warum liebe ich Rucksackreisen zu Fuß? Weil ich nicht mehr auf meinem Rücken tragen kann, als auch gedanklich in meinen Kopf passt.

 


 

 


Die Entscheidung für diesen Artikel kam sehr spontan:

In diesem Artikel beschreibt eine ehemalige Klassenkameradin ihre Weltreise. Sie hat Videos eingebunden, von denen ich mir einige angeschaut habe. Bei diesem Video ist eine Träne aus meinem Auge über die Wange und in meinen Bart gerollt. Da wusste ich: Aaron, diese Menschen haben einen Lebensmut von dem du dir eine gute Scheibe abschneiden kannst. Der Entschluss meine Gefühle und Gedanken in einem Artikel zu schreiben ist schnell gefallen.

 

Das war vor 30 Minuten. In der Zwischenzeit habe ich Bilder für diesen Artikel gemacht (mit meinem Iphone). War aber zu faul das Übertragungskabel zu holen und wollte sie per Dropbox auf den PC spielen. Da kam aber eine Werbung für eine Foto-App von Dropbox, die hab ich mir auch noch angeschaut. Und so weiter... Alltagsverstrickungen.

 

Ich sehe mich gerne als lebenserfahrenen Abenteurer der immer etwas anders tickt als die "anderen" und dafür Bewunderung erntet. Verrückte Touren, naturverbunden, braucht nichts als ein Messer um zu überleben. 

 

Und ich sehe mich gerne als Abenteurer meiner Seele. Ich weiß was in mir los ist, was mir gut tut, was der Sinn meines Lebens ist und ich steuere geradewegs auf meine Bestimmung zu, ganz ohne Abschweifen. 

 

Aber die Wirklichkeit sieht leider ein bisschen anders aus:

 

Heute war ich im Baumarkt und habe 100€ für "unverzichtbare" Gegenstände ausgegeben. Zubehör fürs Auto, Blumenkübel, Holz und Werkzeug für ein Geländespiel das ich und mein Bruder erfunden haben. Dann wollte ich joggen und war happy, dass so fieses Wetter war, denn dann fühlt man sich beim joggen noch etwas "krasser". Vor allem weil ja sonst keiner rausgeht. Und weil das Wetter so "krass" war hab ich noch schnell die GoPro ausgepackt, die Akkus geladen und sie mir umgeschnallt. Beim loslaufen natürlich noch die Runtastic App gestartet und gute Musik auf die Ohren gepackt. 40 Minuten später kam ich sehr nass und glücklich wieder zu Hause an. Runtastic und GoPro haben nichts zu meinem Glück beigetragen, im Gegenteil. Sie haben mich eher aufgehalten und meine Gefühl weg von meinem Körper und meine Sinne weg von der Umwelt und auf sich gelenkt.

"Krass" war es trotzdem. 



Jetzt sitze ich an meinem Schreibtisch und will schreiben. Erst blätter ich aber noch in der Zeitschrift Free Men's World, studier kurz die Reliefkarte der Alpen und mach mir einen Tee.

 

Dann will ich ein Bild von der Festplatte kopieren, ich schließe sie an und überlege ausgiebig ob sie nicht bald voll ist und was ich mir dann für eine Disc holen soll. Am besten irgendwas wasser- und stoßfestes, unverwüstliches. Ich kann mich gerade so beherrschen im Internet nach Festplatten zu surfen.

 

Aber jetzt zu Thema! Ich (die Verallgemeinerung "Wir" versuche ich wegzulassen) lebe in einer hoch komplexen Gesellschaft mit unendlich vielen Anforderungen, Regeln und Rollenbildern. Das lernt schon das kleine Kind dem vermittelt wird, dass es nicht so laut schreien darf, auch wenn es Hunger hat. Feuer ist gefährlich, nein du darfst nicht alleine in den Wald, bis 22 Uhr bist du daheim, mach die Hausaufgaben, was soll denn später aus dir werden, wo ist mein Erspartes am sichersten wenn Griechenland zusammenbricht.

Kein Wunder, dass ich Halt und Sicherheit, Anerkennung und Befriedigung suche, um meinem Leben und meiner Person eine Identität zu geben. Das können der Beruf, das Auto, meine Englisch-Kenntnisse, meine Frau, die Kinder, meine Spielsucht oder mein perfekter Yoga-Körper sein (das sind fiktive Beispiele. Kinder, Spielsucht und Yoga-Körper habe ich noch nicht). All das scheint mir Befriedigung, einen Status und letztlich eine Identität zu geben.

 

Das ist ein Grund warum ich so vernarrt in Outdoor-Ausrüstung, neues Kletterzeug, Funktionskleidung und Fachliteratur bin. Bei mir persönlich ist es vor allem die Ausrüstung. Sie gibt mir das Gefühl von Abenteuer und echtem Erleben, ohne dass ich einen Schritt vor die Haustüre gemacht habe.

Neuerdings ist noch diese Website hier dazugekommen, was mich aber auch dazu animiert mehr zu unternehmen.


Letztlich suche ich nach Identität und einem Lebensbereich in dem ich mich auskenne, den ich durchschauen und durchdringen kann. 

 

Hier ist ein sehr gelungener Artikel zu dem Spagat zwischen unserem Konsum und der Suche nach Glück. Er ist sehr ausführlich und trifft den Nagel auf den Kopf.

 

Also ziehen wir erstmal dieses (ironische) Fazit:

  • Survival Fähigkeiten dienen in erster Linie deinem Ego
  • Prepper dämpfen nur ihre Angst vor dem Ende ihrer Welt
  • Naturliebhaber fliehen nur aus einem Alltag den sie nicht mehr bewältigen können.


"Behalte etwas von diesem Ort für immer in deinem Herzen"


Warum soll ich mich dann überhaupt mit der Natur und einem Leben in der Natur befassen?


Weil ich dabei lerne was in dir bleibt, wenn der ganze Lärm um mich herum verstummt. Die Natur kann mir den Weg aus einem Gesellschaftslabyrinth und zurück zu mehr Zufriedenheit mit mir selbst zeigen.

 

Ich Erinnere mich: 

  • Als Kind habe ich in vollkommenem Frieden in unserem großen und wilden Garten gespielt. Es war das natürlichste Gefühl der Welt auf unseren Kirschbaum zu klettern und mit den Kernen auf kleine Ziele am Boden zu spucken.

 

  • Auf einer Jugendfreizeit war das beste Erlebnis die nächtliche Schnitzeljagd im Wald. Dunkelheit, überall Geräusche und die Hoffnung auf einen Schatz.

 

  • Auf meiner Survivaltour in Schweden habe ich gelernt was aus dir wird, wenn du 2 Wochen lang nur ein Messer hast. Die ersten Tage Entsetzen und Angst vor der Übermacht Natur. Dann kommt die Einsamkeit und ich erkenne den Wert meiner Mitmenschen. Schließlich großer Respekt für und Tiefe Verbundenheit mit meinem Umfeld. Und das Vertrauen in mich selbst, das Wissen dass ich mit mir alleine sein kann.

 

  • Ich erinnere mich an eine Nacht im Zelt. 100km nördlich vom Polarkreis im Gebirge und ein Orkan zog auf. Lange hingen mein Freund und ich an den Zeltstangen und haben die unglaubliche Gewalt des Sturmes gespürt. Alles was wir ihm entgegensetzen konnten war eine dünne Zeltplane und unsere Hoffnung auf den Morgen. Im Verlauf der Nacht hat der Sturm nachgelassen und ein Regenguss hat unseren Zeltplatz in einen Teich verwandelt. Unsere Sachen haben Tage gebraucht bis sie trocken waren, die Erinnerung wir Jahre halten.

 



 

Altschnee in den Bergen, Einsamkeit

Ich erinnere mich an Weite, an Wind, an den Geruch von Waldboden unter meiner Isomatte, an lange Abende am Lagerfeuer. Und ich erinnere mich an Stille. An die Stille der Natur, die Stille in meinem Kopf und meinem Herzen.

 

Ich erinnere mich an den Ausdruck von Freude in den leuchtenden Augen der wenigen Menschen, die mir auf einer langen Tour begegnet sind. Und an die kurzen Gespräche die sich nur ums wesentliche drehen: Wetter, Wasserstände der Flüsse, Wildtiere gesehen?, wieviel Essen habt ihr noch. Dann verabschiedet man sich und sieht den Rucksack des Fremden im Unterholz verschwinden. Wieder allein mit sich.

 

 

Mir haben sowohl die Wochen in der Wildnis als auch einzelne Übernachtungen oder sogar die kurzen Spaziergänge in den Feldern, immer wieder vor Augen geführt wonach ich im Leben suche.

 

Und ich habe es immer wieder in der Natur gefunden.

 



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Kommentare: 7
  • #1

    Robert Göbel (Mittwoch, 24 Juni 2015 10:51)

    Klasse Text.... Genau das fühle ich. Nur wenn ich den Wald betrete spüre ich etwas, ich glaube das ist Freiheit. Ich habe noch keine Große Tour hinter mir aber jeder noch so kleine Ausflug macht mich Glücklich

    Liebe Grüße Robert Göbel

  • #2

    Aaron (Dienstag, 28 Juli 2015 15:30)

    @Robert: Schön dass dir mein Text gefällt! Ich bin der Meinung, dass die Länge einer Tour gar nicht so sehr über ihre Qualität entscheidet. Ich habe einzelne Übernachtungen in der Natur gemacht, an die ich ähnlich intensive Erinnerungen habe wie an eine ganze Reise :)

  • #3

    Daniel (Freitag, 07 August 2015 12:54)

    Hej på dig ;)

    Muss mal sagen...geiler block...macht spaß zu lesen!
    Ich wohne in schweden...und deine Umschreibungen passen die wie der hammer auf dem nagekopf!

    Hälsa ut från Sverige!

  • #4

    Eva (Mittwoch, 02 September 2015 14:43)

    Also sowas... der Grundton, die große Welle die ich spüre beim Lesen ist: "Ja" ! Und es schwingt etwas in mir mit... es ist mir sehr bekannt! Danke für dein Teilen, es ist mutig und schön und berührt den, der sich schon berühren lassen kann!
    Danke, dass wir uns begegnet sind.
    Eva

  • #5

    Valerie (Samstag, 05 Dezember 2015 16:43)

    Lieber Aaron :-)

    deine Homepage gefällt mir sehr gut. Mir juckt es schon in den Füßen wenn ich darin herumstöbere, deine Bilder ansehe... Auf dein Survival-Tagebuch von 2004 bin ich besonders gespannt. Jetzt hat mich jedoch erst mal der Alltag im Griff - ich hab noch etwas (am PC) zu arbeiten. Aber nach und nach werde ich in den kommenden Tagen darin lesen. Vielen Dank für's Teilen!!

    Ich freu mich schon auf Donnerstag :-)

    Liebe Grüße,
    Valerie

  • #6

    Jens (Mittwoch, 30 März 2016 10:36)

    Hallo Aaron,
    ich bin Durch gemeinsame Freunde auf Deine Seite gestossen und muß sagen, dass sie mir sehr gut gefällt. Ich entdecke vieles, das Du zB. in Deinem 2004er Tagebuch beschreibst bei mir wieder. Das Problem mit der Einsamkeit und den unendlich vielen Gedanken kenne ich gut. Würde mich freuen, wenn wir uns mal über den Weg laufen und uns kennen lernen würden. Wenn mich jemand fragt, warum ich solche Rucksacktouren mache, dann antworte ich: Kennst Du das, Du sitzt in einer 747-600 und ärgerst dich über den mangelden Platz und den unbequemen Sitz. Dann gehst Du eine 14 Tage Tour durch die Wildniss. Auf dem Rückweg sitzt Du im gleichen Flugzeug und denkst: Boah, anlehnen im warmen und gleich bringt mir jemand etwas zu Essen, wie gut ich es doch habe. Darum mache ich solche Touren, um mich zu erden :-)
    Gruß, Jens

  • #7

    Aaron von lightinthewild.de (Donnerstag, 31 März 2016 21:49)

    Hey Jens,
    ich kann mir schon denken über wen du mich gefunden hast und ich habe auch schon die ein oder andere spannende Geschichte von dir gehört. Zuletzt etwas über Efeuseife... Coole Sache! :-)
    LG und vielleicht bis bald, Aaron.