Das Barrhorn (3610 m.) in den Walliser Alpen. Einfache Wege, brennende Lungen und eine grandiose Aussicht.
Ich beschreibe die Bergwanderung auf einen der höchsten wanderbaren Gipfel Europas. Das hört sich nach Schlange stehen an, wir waren aber die einzigen am Berg.
Barrhorn (3610 m.), Walliser Alpen
Der Sommer neigt sich dem Ende zu und die kälter werdenden Tage sagen mir deutlich: Du musst nochmal raus, nochmal Luft holen und Sonne tanken vor dem langen Winter.
Da kommt mir die Nachricht auf meinem Handy gelegen: „Willst du mit auf das Barrhorn?“ Ich weiß zwar nicht wer oder was das Barrhorn ist, aber ich bin dabei.
Nach einer kleinen Internetrecherche bin ich schlauer:
Das Barrhorn ist ein Berg in den Walliser Alpen am oberen Ende des Turtmanntales und besteht aus den beiden Gipfeln Inneres Barrhorn (3583 m.ü.M.) und Äußeres Barrhorn (3610 m.ü.M.). Das besondere an ihm ist, dass er einer der höchsten wanderbaren Gipfel der Alpen ist und ohne besondere Ausrüstung bestiegen werden kann. Die Schwierigkeitsbewertung des Weges nach SAC-Wanderskala liegt bei T3 („anspruchsvolles Bergwandern“).
Wir finden einen passenden Termin Ende September, werfen unsere sieben Sachen in den Kofferraum und fahren Richtung Süden. Rucksäcke packen können wir ja auch noch wenn wir angekommen sind, so lange werden wir schon nicht brauchen. Dass die Autofahrten in der Schweiz immer etwas länger dauern als erwartet verdrängen wir. Noch Proviant einkaufen, ein paar kleinere Pausen einlegen. Wir warten eine knappe Stunde auf den Autozug von Kandersteg nach Goppenstein und sind erstaunt wie lange sich auf der anderen Seite des Rhonetals, die immer kleiner werdende Straße durch das Turtmanntal in die Berge schraubt.
Es ist schon lange dunkel, Rehe, Katzen und ein Marder kreuzen unseren Fahrweg. Am Ende der asphaltierten Straße halten wir am
vorderen Sännturm. Ein klarer Sternenhimmel spannt sich über den gewaltigen Bergflanken, im Talgrund rauscht ein Bach und am nahen Waldrand schläft eine Schafherde. Wir legen uns direkt neben das
Auto in den Straßengraben, er wird uns ohnehin nur bis zum ersten Tageslicht beheimaten. Durch die schwerer werdenden Augenlieder sehe ich noch einige Sternschnuppen funkeln und merke an meinem
dampfenden Atem, dass es ein kalte Nacht werden wird.
Der Wecker meldet sich früher als gewollt, wird weitergestellt und gewinnt schließlich doch. 07:00 Uhr ist es, das Thermometer sagt -3° C und wir beeilen uns mit anziehen und frühstücken. Die mit Reif überzogenen Schlafsäcke werden nur ausgeklopft und ins Auto geworfen, keine Zeit um sie zu trocknen.
08:00 Uhr, das Tageslicht gewinnt an Kraft und mit ihm unsere Körper. Los geht’s! Wir halten uns beim vorderen Sännturm links des Baches Turtmänna. Der schmale Pfad windet sich durch üppige Schluchtvegetation, hangelt sich an den Uferfelsen entlang und schenkt uns immer wieder Blicke auf glasklares Wasser in glucksenden Gumpen. Wenn es nicht so eisig und so früh am Morgen wäre könnte man ein Bad nehmen. Aber nein, weiter! Wir sind ja gerade erst losgelaufen.
Der Anblick der rauen Umgebung, der Alpenvegetation, der schroffen Steine, der Moospolster und der knorrigen Lärchenstämme bewirkt es schließlich: Bergfreude (so nenne ich es einfach mal) sickert
in unsere Muskeln, wärmt die steifen Gelenke auf und gelangt nach und nach auch in unsere Gedanken und Gespräche. Immer deutlicher werden die Erinnerungen an vergangene Reisen und immer konkreter
werden die Pläne für zukünftige Touren. Und eines wird mit jedem Schritt auf dem holprigen Pfad und mit jedem Blick in die in sich ruhende Natur eindeutiger: Es macht glücklich ein Teil von ihr
zu sein.
Nach 50 Minuten stehen wir an den beiden Stauseen des Turtmannsees, eingerahmt in die steilen Hänge von Les Diablons, Wängerhorn, Frilihorn und den Ausläufern des Stellihorns. Alles beeindruckende Monumente aus Fels, deren Gipfel wir nur erahnen können. Dünnes Eis liegt auf den Seen und darin spiegeln sich die Silhouetten der vergletscherten Berge.
Das Wetter soll gut werden, kalt, klar und ohne neue Niederschläge. Am Vortag und in der Nacht sollen etwa 10 cm Neuschnee auf dem Barrhorn gefallen sein. Wir schielen immer wieder in die höheren Lagen, können die Schneeverhältnisse aber nicht beurteilen und hoffen einfach das Beste.
Gegen 10:15 Uhr erreichen wir die Turtmannhütte. Sie liegt auf einem kleinen Sattel und bietet einen weiten Blick ins Turtmanntal und auf die umliegenden Gipfel. Die Terrasse lädt zum rasten ein
und wir entledigen uns der überschüssigen Kleider. Denn inzwischen scheint die Sonne und der Frost der Nacht ist vergessen. Wir lassen Langeunterhosen und Vliesoberteile auf der Hütte zurück.
Leider füllen wir zu wenig Wasserflaschen am Hüttenbrunnen was wir später bereuen werden.
Der Weg quert nun einen langen und felsdurchsetzten Wiesenhang und führt an die einzige gesicherte Stelle unserer Wanderung: Die „Gässi“ Passage an der kleinen Steilwand über die wir an die
Ausläfer der Westflanke des Barrhorns gelangen. Der Steig liegt im Schatten und ist Schneebedeckt. Eine etwas rutschige Kraxelei aber durch die Drahtseile gut zu bewältigen.
Einem kurzen Grat folgend gelangen wir in den Talkessel zwischen Stieberg, Schöllihorn und Barrhorn. Wir bewegen uns nur wenige 100 Meter vom Rand des Brunegggletschers entfernt und durch
ausgedehnte Schutthalden. Die Landschaft ist durch Gletscher geformt worden. Der kaum noch erkennbare, aber durch Steinmännchen ausreichend markierte Pfad umrundet einige Felsbrocken, führt über
glattpolierten Fels und orientiert sich anschließend am Grat eines großen Moränenwalls.
So langsam wird uns der Wasserfehler bewusst und wir fangen an Schnee zu schmelzen. In unseren Händen, im Mund und in einer
leeren Flasche. Aber trotz der kräftigen Sonne bleibt der große Umtrunk aus, der Schnee schmilzt nur sehr langsam und reicht nur für kleine Erfrischungen. Also weiter.
Wir erreichen die 3000 Meter Marke und die Höhe fängt an sich bemerkbar zu machen. Müde Beine, etwas Kopfweh und Kurzatmigkeit. Wir sind eben doch eher Flachländer :-)
Der Schnee nimmt deutlich zu. Ab etwa 3200 Metern haben wir eine weitgehend geschlossene Schneedecke. Noch dazu fehlen die Steinmännchen und wir müssen uns auf unser Berggespür verlassen – erfolgreich.
Wir halten auf den Sattel zwischen den beiden Barrhörnern zu, ohne zu weit nach links und damit zu nah an die Klippen unterhalb der langen Schutthalde zu geraten.
So langsam wird es anstrengend. Heiße Sonne, Höhenluft, kein Wasser und rutschiger Untergrund versuchen uns von dem atemberaubenden Panorama abzulenken. Wir erinnern uns immer wieder
gegenseitig an den Rundumblick. Jedenfalls bis auf die letzten 100 Höhenmeter, die sind eine Qual und ich will von Bergen und Schnee und Schotter der unter meinen Füßen nachgibt nichts mehr
wissen. 20 kleine Schritte, Pause, Herzrasen. 20 kleine Schritte, Pause, Herzrasen und Schnappatmung. 20 kleine Schritte... Ich muss dringend mehr trainieren!!
15:00 Uhr.
Und dann ist es da: Gemeinsam machen wir die letzten Schritte zum Gipfelkreuz und tauchen ein in eine erhabene Weite.
Es ist windstill und klar, der Boden schneefrei. Mein Blick wandert ein Mal im Kreis und erblickt nur Gipfel und Fels und Gletscher. Wir scheinen in einer zeitlosen Sphäre zu schweben. An einem
Ort der nicht für uns Menschen gemacht ist, der uns aber akzeptiert und der uns mit tiefer Ehrfurcht erfüllt. Vor allem die steile Nord-Ost-Wand des Bishorn über dem Brunegggletscher und die
Wolkenfetzen die sich von dessen Gipfel lösen, fesseln mich. Und jedes mal wenn ich mir in dieser Szenerie irgendeine Bedeutung zumessen will, muss ich nur einen Blick über die 3 Meter entfernte
Klippe auf 400 Meter Luft und die Schneefelder unter mir werfen, um mich daran zu erinnern, dass hier jemand anderes das Sagen hat.
Und vielleicht ist es genau das was ich immer wieder suche und finde. Etwas mächtigeres als mich, das ich weder beeinflussen noch verstehen kann. Und das keine Ansprüche, sondern nur Bedingungen an mich stellt - Natur. Wenn ein Sturm aufzieht, dann ist das einfach eine Bedingungen und ich kann tun und lassen was ich will, er zieht erst weiter wenn er fertig ist mit stürmen. Ihm doch egal ob ich auf der Hälfte des Abstiegs in einer Felsnische kauer und mich ins Warme wünsche. Das einzige was in Bezug auf die Natur zählt ist mein Respekt und meine Ehrfurcht davor, dass ich nur ein kleiner unbedeutender Teil von ihr bin, und sie mir trotzdem alles schenkt was sie zu bieten hat.
16:15 Uhr.
Noch ein letzter Blick, dann tragen uns die weichen Knie auf den Rückweg. Es geht schnell voran, auch wenn der Schnee inzwischen matschig und rutschig ist. Am oberen Ende der Moräne finden wir ein Schmelzwasserrinnsal und stillen gierig unseren Durst. Erfüllt von dem Erlebnis und mit müden Beinen trotten wir bergab. Hin und wieder verschwende ich einen Gedanken an einen verstauchten Fuß, ein gebrochenes Bein. Wie lange es wohl dauern würde zur Turtmannhütte zu humpeln? Würde man das auch alleine schaffen? Es zeigt mir wieder wie klein ich hier draußen bin und wie sehr ich auf rudimentäre Fähigkeiten angewiesen bin: Kondition, Trittsicherheit, Voraussicht (Stichwort Wasser).
18:15 Uhr
Ohne Zwischenfälle erreichen wir die Turtmannhütte und gönnen uns ein Bier. Der Rest des Weges ist gut zu gehen, zur Not auch mit Stirnlampen. Trotzdem beeilen wir uns, denn die Sonne ist schon hinter der Bergkette versunken und es wird schnell kalt. Kurz nach 21:00 Uhr erreichen wir das Auto. Die letzte Stunde sind wir im Dunkeln gelaufen und haben den Schotter-Fahrweg genommen. Erstaunlich wie lange sich das letzte Stück Weg gezogen hat.
Wir suchen uns einen Schlafplatz, essen etwas und schlafen. Viel zu erfüllt und zu müde sind wir um noch ein Fazit zu ziehen und so will ich es auch mit diesem Artikel halten. :-)
Tourdaten:
Startpunkt: Vorderer Sennturm im Turtmanntal, 1900 m.ü.M.
Ziel: Barrhorn, 3610 m.ü.M.
Höhendifferenz: 1710 Höhenmeter
Strecke: 30 km (Hin- und Rückweg)
Zeit: 13 Stunden (davon ca. 2,5 Std. Pause)
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Bien Sur (Mittwoch, 21 Oktober 2015 18:54)
Ein sehr schöner Bericht, guter Tourenvorschlag und tolle Alpenimpressionen/Bilder!
Paul (Freitag, 23 Oktober 2015 01:44)
Ich denke nachdem ich deinen Bericht gelesen habe, werde ich mich wohl dort auch irgendwann wieder finden. :)
Toller Bericht, danke für die Anregung.
Theo Reto (Montag, 26 Oktober 2015 22:02)
Wunderschöne Fotos! Ich war vor kurzem auf einer Hochzeit am Semmering, da mussten alle Gäste hinaufwandern, bin sonst eigentlich nicht so der Wanderer aber es war auch sehr schön! Hier gibt's ein paar Eindrücke: http://www.theoreto.com/ja-ich-will/
Christoph (Mittwoch, 28 Oktober 2015 19:31)
Ein wirklich gelungener Beitrag.
Deine Bilder sind sehr fesselnd und man hat Lust auf mehr. Freue mich auf weitere Touren.
LG
ChriTi (Donnerstag, 29 Oktober 2015 22:23)
Am liebsten würde ich mitkommen! Da das nicht geht, lese ich mit Freude deine feinsinnigen und mitreissenden Berichte und versetze mich im Geist an die Orte, die du beschreibst. Bin schon auf deinen nächsten Bericht neugierig. Weiter so!
Liebe Grüße,
Christel
Aaron von lightinthewild.de (Montag, 16 November 2015)
Vielen Dank für die ermutigenden Kommentare! Ja, ich kann die Tour auf das Barrhorn nur empfehlen und ich schaue mir die Bilder auch immer wieder gerne an!
@Theo Reto: Tolle Bilder hast du von der Hochzeit! :-)
Grüße Aaron